Wahlkampf mit Phantom

Uschi Grandel, junge Welt vom 2.9.2015

Zwei Tote in Belfast lassen Polizei, Politik und Presse von der IRA schwadronieren

Féile an Phobail, das Fest des Volkes, das jedes Jahr Anfang August im irisch-republikanisch dominierten West-Belfast stattfindet, veranstaltet neben musikalischen und kulturellen Events eine große Sommerschule, in deren Rahmen über irische und internationale Politik diskutiert wird. Einer der diesjährigen Gastredner war Giannis Bournous vom politischen Sekretariat der griechischen Regierungspartei Syriza. Die irische Linkspartei Sinn Féin hatte ihn eingeladen, um über die Situation in Griechenland und den Widerstand gegen die Kürzungspolitik zu diskutieren.

Sinn Féin kämpft an zwei Fronten für ein Ende der Austeritäts- und Sozialkürzungspolitik. Erst am vergangenen Samstag hatte in der Republik Irland ein linkes Bündnis, in dem Sinn Féin als größte Oppositionspartei eine führende Rolle spielt, mehr als 80.000 Menschen gegen die Privatisierung der Wasserversorgung und zusätzliche Steuern auf die Straße gebracht. In Nordirland weigert sich Sinn Féin seit zwei Jahren, die von der britischen Regierung vorgegebenen Kürzungen im Sozialbereich umzusetzen. Sie fordert von den probritischen Parteien eine gemeinsame Gegenwehr gegen die Anweisungen aus London, die gerade im von hoher Arbeitslosigkeit betroffenen Nordirland verheerende Folgen hätte.

Nächstes Jahr finden sowohl in der Republik Irland als auch in Nordirland Wahlen statt und in beiden Teilen der Insel hat Sinn Féin gute Chancen, stärkste Partei zu werden. In der Republik Irland ist eine linke Regierungskoalition möglich. Bis vor kurzem fehlte den konservativen Parteien in Süd und Nord ein Thema, mit dem sie Sinn Féin den Sieg streitig machen könnten. Nun sorgen zwei Morde im kleinen irischen-republikanisch geprägten Viertel Short Strand in Belfast für Schlagzeilen, da die nordirische Polizei auf einer Pressekonferenz »ehemalige oder aktuelle Mitglieder der IRA« zum Kreis der Verdächtigen zählte. Die Kommentatoren der großen Zeitungen im Land spekulieren nun über eine im Geheimen weiterexistierende IRA und lassen die alte Diffamierungskampagne gegen Sinn Féin als politischer Arm der Untergrundarmee wieder aufleben.

Die Irish Republican Army (IRA) hatte am 28. Juli 2005 das Ende ihres bewaffneten Kampfes und wenig später die Vernichtung ihres Waffenarsenals unter Anwesenheit internationaler Beobachter bekanntgegeben und verschwand danach von der Bildfläche. Sinn-Féin-Präsident Gerry Adams nannte die Versuche, die beiden Morde in Belfast zu benutzen, um Sinn Féin politisch zu schwächen, »opportunistisch und zynisch«. Die IRA gebe es nicht mehr. Wer immer für die Morde verantwortlich sei, müsse zur Verantwortung gezogen werden. Er verurteilte »die Medienkampagne und die Spekulationen« und stellte klar, dass seine Partei »ihr Mandat, ihre Rechte und ihre Ansprüche« von den Wählern erhalten habe.

Aber die etablierten Parteien im Süden und die probritischen Parteien im Norden haben sich bereits auf Sinn Fé in eingeschossen. Am Samstag erklärte die probritische Ulster Unionist Party (UUP) den Austritt ihres Ministers aus der Belfaster Regierung und begründete diesen Schritt mit der Weigerung von Sinn Féin, die Existenz der IRA zuzugeben. Sie wurde vom irischen Außenminister Charlie Flanagan unterstützt, der an Sinn Féin appellierte, die IRA zum Verschwinden zu bewegen. In einem Interview mit dem irischen Radiosender RTÉ sagte die Vizepräsidentin von Sinn Féin, Mary Lou McDonald, sie »habe die Schnauze voll von der Schmutzkampagne« und kritisierte insbesondere die Spekulationen der irischen Regierungsparteien.

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