Ein Veränderer

Der langjährige Präsident von Sinn Féin, Gerry Adams, hat den Rückzug aus seinen Ämtern angekündigt.

Im nächsten Jahr feiert Gerard „Gerry“ Adams seinen siebzigsten Geburtstag. Er ist der weltweit bekannteste Vertreter der irisch-republikanischen Bewegung und seit 1983 Präsident der irischen Linkspartei Sinn Féin. Am vergangenen Samstag gab er auf deren Parteitag in Dublin vor 2500 Delegierten und Gästen bekannt, sich im nächsten Jahr aus seinem Amt als Präsident von Sinn Féin zurückzuziehen und auch nicht mehr für das Parlament in Dublin zu kandidieren.

Der Schritt kam nicht unerwartet. Gemeinsam mit dem im März überraschend verstorbenen Martin McGuinness hatte Gerry Adams den Wechsel der Führungsspitze von langer Hand geplant. Er habe sich „immer als Teamplayer und Teambuilder gesehen“ sagte er in seiner Rede, die der staatliche irische Fernsehsender RTÉ live übertrug. An der Spitze eines kollektiven Führungsteams hat er Sinn Féin in den vergangenen 34 Jahren zu einer starken linken Partei entwickelt, die selbstbewusst dabei ist, die Verhältnisse im Süden und im Norden zu verändern.

Im Widerstand

Gerry Adams wurde 1948 in einen nordirischen Staat hineingeboren, den Großbritannien 1921 gegen den Willen der irischen Bevölkerung künstlich geschaffen und vom Rest Irlands abgespalten hatte. Die herrschende probritische Elite verweigerte der irischen, meist katholischen, Hälfte der Bevölkerung Arbeit, vernünftige Wohnungen und jede Art politischer Mitsprache. Sie schürte einen protestantischen Rassismus, der sich immer wieder in anti-katholischen Pogromen entlud. Als die Situation Ende der 1960er Jahre explodierte und die brutale Unterdrückung der Bürgerrechtsbewegung durch nordirische Polizei und britische Armee in einen bewaffneten Konflikt zwischen den Streitkräften und der Irisch Republikanischen Armee (IRA) mündete, war Adams schon einer, auf dessen Rat man hörte.

Aufgewachsen ist Gerry Adams im irischen Teil von West Belfast, einem der ärmsten Viertel Nordirlands. Dort lebt er noch heute. In den 1970er Jahren entwickelte sich West Belfast nicht nur in ein Zentrum des Widerstands und des zivilen Ungehorsams, sondern auch in ein Laboratorium für alternative Strukturen der Wirtschaft und der Bildung. Aus der Nachbarschaftshilfe entstanden solidarische Formen des Zusammenlebens, wie zum Beispiel das kollektive Transportsystem der Black Taxis, eine Mischform aus Taxi- und Busverkehr. Die einstige Leinenfabrik Conway Mill und das aus einer Kirche in ein irisches Kulturzentrum verwandelte An Culturlann wurden als Freiräume für zivilgesellschaftliches Engagement erkämpft und existieren noch heute. Damals lernten die jungen Revolutionäre, dass der britische Staat keineswegs nur die Männer und Frauen der IRA verfolgte, sondern politische Aktivist/innen, Frauengruppen und soziale Initiativen mit derselben Härte bekämpfte. Die BBC bezeichnete West Belfast als „Terroristenviertel“. Sinn Féin war bis 1974 eine verbotene Partei und Gerry Adams landete schnell im Untergrund und mehrere Male in Internierungslagern.

Über die Kultur des Widerstands hinaus gehen

Der bewaffnete Konflikt schien unlösbar, erst recht, als 1981 im nordirischen Hochsicherheitsgefängnis Maze zehn republikanische Gefangene im Hungerstreik starben. Aber der Kampf um Solidarität mit den politischen Gefangenen erreichte eine gewaltige Dynamik. Die britische Premierministerin Margaret Thatcher, die mittels ihrer repressiven Politik in den Gefängnissen die „IRA wie eine Tube Zahnpasta ausquetschen“ wollte, musste zusehen, wie in beiden Teilen Irlands IRA-Aktivisten während ihres Hungerstreiks in die jeweiligen Parlamente gewählt wurden. Ihr charismatischer Anführer Bobby Sands wurde im nordirischen Wahlbezirk Fermanagh/South Tyrone mit mehr Stimmen ins britische Unterhaus gewählt als Thatcher in ihrem eigenen Wahlkreis.

Als Gerry Adams 1983 Präsident von Sinn Féin wurde, verkündete er „über die Kultur des Widerstands hinaus“ als neue Form einen „irlandweiten Kampf um die Veränderung der Gesellschaft“. Heutzutage ist Sinn Féin in den Parlamenten vertreten, hat aber ihre Präsenz auf der Straße und ihre Fähigkeit, Massenproteste zu mobilisieren, nicht nur nicht verloren, sondern weiterentwickelt.

Parteiaufbau und Friedensprozess

Dieser politische Weg war und ist ihren Gegnern ein Dorn im Auge. Zwanzig Parteiaktivist/innen wurden von probritischen Paramilitärs ermordet. Auch Gerry Adams wurde 1984 bei einem Attentat schwer verletzt. Die Regierungen in London und in Dublin verhinderten bis 1994 durch harte Zensurgesetze eine Medienpräsenz von Sinn Féin. Bis zum heutigen Tage versuchen herrschende Parteien und Medien vor allem im Süden Irlands, Gerry Adams durch Schmutzkampagnen zu diskreditieren.

Am Zustandekommen des Friedensvertrags von 1998, der den bewaffneten Konflikt beendete, war Gerry Adams  maßgeblich beteiligt. Schon Jahre zuvor hatte er in Gesprächen mit dem katholischen Priester und Friedensmoderator Alex Reid und dem Chef der nordirischen Sozialdemokraten John Hume Wege zum Frieden ausgelotet. Das Karfreitagsabkommen, wie der Vertrag genannt wird, beendete nicht den Konflikt, sondern seine militärische Phase. Es enthält eine Blaupause für eine radikale Demokratisierung Nordirlands und ermöglicht die friedliche Wiedervereinigung der beiden Teile Irlands. Gerry Adams nennt den Friedensprozess „einen unserer wichtigsten Erfolge“.

Ausgefeilt wurden solche Strategien nie im Alleingang. Die irisch-republikanische Bewegung ist eine internationalistische Bewegung mit weltweiter Vernetzung. Bekannt ist die enge Verbindung zur baskischen linken Unabhängigkeitsbewegung. Nach dem Tode Nelson Mandelas war Gerry Adams auch zur internen  Gedenkveranstaltung des African National Congress (ANC) geladen. Die Botschafter von Kuba und Palästina sind regelmäßige Gäste auf den Parteitagen.

Seit 1982 ist Gerry Adams auch als Schriftsteller tätig. In seinen Büchern verarbeitet er politisches Geschehen in Irland auf humorvolle Art und Weise. In Kurzgeschichten und in seiner frühen Autobiographie, die unter dem Title „Bevor es Tag wird“ auch in deutscher Sprache erschienen ist, gibt er Einblicke in das Leben in Irland. Im Internet betreibt er den Blog „Léargas“ in englischer Sprache.


Erstveröffentlichung:

Foto (Sinn Féin, Nov. 2017): Gerry Adams und die Nordirlandchefin von Sinn Féin Michelle O’Neill kurz vor Beginn des Parteitags auf dem Podium