Schwer fassbar

Donostia-San Sebastián ist Kulturhauptstadt 2016 und wirbt mit Frieden, Versöhnung, Zusammenleben und Mitgestalten

Donostia San Sebastian - Kulturhauptstadt 2016Das hippe Kürzel »DSS2016.EU« flattert uns mit einem fröhlichen »Ongi etorri – Bienvenida – Willkommen« von vielen Fahnenstangen auf der breiten Strandpromenade entgegen. Es ist der letzte Maitag und wir erkunden, wie sich Donostia (spanisch: San Sebastián) als diesjährige Europäische Kulturhauptstadt präsentiert. Uns entgegen kommt eine Demonstration der linken baskischen Gewerkschaft Langile Abertzaleen Bartzordeak (LAB) unter der Losung »Für soziale Rechte – gegen Prekarisierung«. Natürlich ist sie kein Teil des offiziellen Programms von »DSS2016.EU«, aber ein Beleg dafür, dass sich der widerständige Geist hier nicht verflüchtigt hat. Auch an der lebendigen Stadt mit ihrer traumhaften Lage in der Muschelbucht am Atlantischen Ozean ging Spaniens Krise nicht spurlos vorüber.

Eingeläutet wurde das Jahr von der Stadtverwaltung mit der Abrissbirne. Das selbstverwaltete soziale Zentrum Kortxoenea im Stadtteil Gros musste Platz für ein Wohnungsbauprojekt machen, tausenden leerstehenden Wohnungen in Donostia zum Trotz. Kortxoenea war im Jahr 2010 von Jugendlichen gegründet worden, die eine leerstehende Korkfabrik besetzt hatten. Das Zentrum entwickelte rege soziale, kulturelle und politische Aktivitäten. Massive Proteste hatten die Entscheidung zum Abriss nicht verhindern, nur verzögern können. Gleichzeitig renovierte die Stadt eine alte Tabakfabrik an der Grenze der Stadtviertel Gros und Egia. Tabakalera heißt das neue Kulturzentrum. Als wir es besuchen, ist es fast menschenleer. Die Installationen und Ausstellungen des Jahres greifen interessante Themen auf und laden zum Mitmachen ein. Doch es wirkt, als wären zwei Prämissen des Programms der Kulturhauptstadt, Zusammenleben und Mitgestalten, verlorengegangen.

Die beiden anderen Themenschwerpunkte heißen »Frieden und Versöhnung«. Sie werden im Programm eher abstrakt abgehandelt. Eine Ausstellung über gesellschaftliche Ausgrenzung in der Tabakalera zeigte zunächst auch Werke ehemaliger politischer Gefangener. Gegen deren Kunst hatte der konservative Bürgermeister Eneko Goia nichts einzuwenden. Umso mehr jedoch gegen die betreffenden Künstler. Auch hier fruchteten Proteste nicht. Die Werke fielen der Zensur zum Opfer und wurden aus der Schau entfernt. Dafür gibt es eine Ausstellung über Friedensverträge der letzten fünfhundert Jahre. So weit hätte man nicht zurückgehen müssen. Der Friedenspalast im Stadtviertel Aiete war erst im Oktober 2011 Tagungsort einer internationalen Konferenz zur Lösung des Konflikts zwischen Spanien, Frankreich und dem Baskenland. Der damalige Bürgermeister von der baskischen Linkskoalition Bildu hatte sie nach Donostia geholt. Als Reaktion auf den Friedensfahrplan, den die Teilnehmer verabschiedeten, erklärte Euskadi Ta Askatasuna (ETA) das Ende ihres 50 Jahre währenden bewaffneten Kampfes. Nach Aktivitäten, die an diese Konferenz anknüpfen, sucht man in der Kulturhauptstadt jedoch vergeblich.

Der Weg zum Hafen führt durch die malerischen Gassen der Altstadt. Von hier gelangt man bis zum anderen Ende der Bucht. Dort trotzt die Eisenskulptur »Peine del Viento« des Bildhauers Eduardo Chillida (1924-2002) der Brandung. Der »Windkamm« ist das Wahrzeichen von Donostia. Von Chillida stammt auch das verschlungene »a« der Kampagne für die Amnestierung der baskischen politischen Gefangenen. »DSS2016.EU« hätten neue Signale der Versöhnung gut getan.


Erstveröffentlichung: Uschi Grandel, in Alternatives Reisen, Beilage der junge Welt vom 7.12.2016