Vergesst die Waffen und vertraut Sinn Féin

Michael Oatley, 31.10.1999, Sunday Times (Übersetzung: Uschi Grandel)

Nach Ansicht Michael Oatleys, eines früheren Mitarbeiters des britischen Geheimdienstes, der als Unterhändler mit der IRA geheime Gespräche führte, spielt die Entwaffnung der IRA keine Rolle. Sinn Féin habe ehrliche Friedensabsichten.

Von Anfang an wurde der Friedensprozess durch die Frage der Leerung terroristischer Waffenarsenale behindert. Diese Frage hat den Friedensprozess unter der letzten konservativen Regierung gestoppt und droht immer noch, ihn zu zerstören. Bis zum heutigen Tage wurde dieses Thema den britischen Wählern nie objektiv präsentiert. Unter anderem die Kommentatoren der Times und des Daily Telegraph, zusammen mit einer starken Lobby des rechten Flügels der konservativen Partei, sind nur zu bereit, den Stillstand in der Frage der Entwaffnung als Beweis dafür zu nehmen, dass es Sinn Fein nicht ernst ist mit ihrem Bekennntnis zu einer politischen Lösung des Konfliktes.

Diese Taktik kann man als Stierkämpfer-Taktik beschreiben, die verwendet wird, um eine terroristische Organisation in der politischen Arena vorzuführen. Kein Zweifel, wenn genügend Wiederhaken in die Flanken des Stieres stecken, wird er sich mit Widerwillen aufbäumen. Die Stierkämpfer können dann sagen, das Biest war schon immer ein mörderisches Monster.

Es gibt viele Waffen in Irland, in den Händen beider Seiten im Norden. Die Frage ist nicht, ob eine Organisation Waffen hat, oder beziehen kann. Die Frage ist, ob sie Gewalt oder politische Lösungswege wählt.

Nach 25 Jahren einer bewaffneten Kampagne, hat die Führung von Sinn Féin, angeführt von Martin McGuinness und Gerry Adams, entschieden, der Politik eine Chance zu geben. Sie haben das nicht gemacht, weil sie nicht mehr in der Lage waren, die bewaffnete Kampagne weiterzuführen oder Freiwillige zu rekrutieren (die Sicherheitskräfte haben an dieser Fähigkeit nie gezweifelt).

McGuinness und Adams haben festgestellt, dass sich die politische Atmosphäre in Irland und auf dem britischen Festland durch die Entwicklung der Europäischen Union geändert hat, und sahen einen neuen Weg, auf ihre Sache aufmerksam zu machen. Sie haben des weiteren festgestellt, dass die Sicherheitskräfte ihre Handlungsfähigkeit behielten. Unter diesen Umständen schien ein moderater Fortschritt in der Einführung gesamtirischer Institutionen ein besserer Weg als das frühere Alles-oder-Nichts.

Diese Entscheidung wurde zögernd von intelligenten, der Sache ergebenen Individuen gefällt, die ihr gesamtes Leben in den Dienst eines ihrer Meinung nach gerechten Krieges gestellt hatten. Sie haben den bewaffneten Kampf nicht eingestellt, weil sie Ruhe brauchten oder ihn für irrelevant hielten. Im Gegenteil, sie waren sich klar, dass die bewaffneten Aktionen die irische Frage stärker ins Licht der Öffentlichkeit gerückt haben als je zuvor seit 1920.

Die Möglichkeit eines Waffenstillstandes wurde innerhalb der IRA heftig bekämpft. Viele hatten Angst, dass der Übergang zu politischen Mitteln die Stärke der IRA zerstören könnte. Niemand war sich dessen mehr bewusst als McGuinness und Adams, die erlebt haben, welchen Schaden der Waffenstillstand 1975 der IRA zugefügt hat, und die damals die Führung der Bewegung übernahmen. Aber sie haben sich entschieden,das Risiko auf sich zu nehmen.

Ich war ein Zeuge dieser Entscheidung. Viele Jahre lang haben mir die Umstände immer wieder sehr intime Einsichten in die Entwicklung der Republikanischen Bewgung gestattet. Ich stellte fest, dass sich der Blickwinkel der Führung geweitet hat, der bewaffnete Kampf auf Effektivität und Rechtfertigung überprüft wurde und die Bereitschaft zum Dialog über neue Perspektiven vorhanden war. Ich weiss, wie schwierig es war, das Vertrauen und die Disziplin der zerstreuten, teilweise geheimen Mitglieder während der sich in die Länge ziehenden Verhandlungen mit drei Regierungen zu erhalten.

Der Premierminister sagt, er erkenne die Ernsthaftigkeit der beiden Sprecher an. Aus meiner langen Erfahrung habe ich nicht den geringsten Zweifel an der Ernsthaftigkeit ihrer Bestrebungen, eine politische Lösung zu finden. Ich wäre erstaunt, wenn die meisten Teilnehmer des Mitchell Reviews nicht dieser Meinung wären.

Die Republikaner waren der Meinung, mit ihrem einseitig erklärten Waffenstillstand eine historische Geste des guten Willens zu machen und rechneten mit Anerkennung. Die gab es nicht. Die Antwort der Major-Regierung war ein Beispiel für die Stierkämpfer-Taktik in ihrer provokativsten Form. Sie stellte die Ernsthaftigkeit des Waffenstillstandes in Abrede und verlangte weiterreichende Erklärungen. Diese Antwort auf den Waffenstillstand setzte die Politikbefürworter innerhalb der Führung von Sinn Féin unter Druck und verstärkte die Gefahr wiederaufflammender Gewalt. Als der Streit beigelegt war, fand die Regierung eine neue Entschuldigung, den Friedensprozess nicht weiter verfolgen zu müssen: die Frage der Entwaffnung.

Blockade. Und es ist jetzt wiederum das Thema. „Wenn es Euch ernst ist, gebt Euere Waffen ab. Sonst werden wir das Karfreitagsabkommen nicht umsetzen.“ sagen die Unionisten. „Wir meinen es ernst, aber unsere Leute sind nicht bereit, ihre Waffen abzugeben, ohne zu sehen, dass Dinge sich ändern,“ antwortet die Sinn Fein Führung. „Sie trauen Euch nicht, in dieser Frage trauen sie nicht einmal uns. Sie brauchen einen Beweis Euerer Ernsthaftigkeit. Wenn Ihr das Abkommen verhindert, hatten sie recht. Entwaffnung ist keine Voraussetzung für die Umsetzung des Karfreitagsabkommens, sondern war als Konsequenz gedacht.“

Es gibt eine Erklärung für die Weigerung der IRA, mit der Entwaffnung zu beginnen. Waffen und Verstecke sind weit verstreut und unter der Kontrolle lokaler Zellen. IRA-Freiwillige sind keine Schafe. Sie haben sich zum bewaffneten Kampf für klar abgesteckte Ziele zusammengefunden, die sich nun geändert haben. Die Disziplin angesichts dieser Änderungen ist bemerkenswert. Die Führung kann nichts anderes, als führen. Vertrauen in neue  Bedingungen braucht Zeit. Die Mitglieder der republikanischen Bewegung sind sorgsam bedacht, die Bewegung nicht durch falsche Versprechungen zu zerstören.

Die Stierkämpfer-Taktik hat einen Effekt. Die meisten britischen Wähler sind über die Hintergründe nicht informiert. Sie halten die Frage der Entwaffnung für das zentrale Thema des Friedensprozesses. Das ist es nicht. Die zentrale Frage ist Gewalt oder Politik.

Die Mehrheit der Bevölkerung Nordirlands hat für das Karfreitagsabkommen gestimmt. Viele in der (protestantischen und pro-britischen) Ulster Unionist Partei versuchen, das Abkommen zum Scheitern zu bringen, und setzen neue Bedingungen für ihre Kooperation, während sie die Verantwortung auf Sinn Fein abschieben. Unter der konservativen Regierung war diese kleine unionistische Partei in der Lage, Regierungsbeschlüsse durch ihr Veto zu blockieren. Jeder Versuch, dies erneut zu tun, sollte auch so verstanden werden und diejenigen, die dafür auf dem britischen Festland werben, sollten sich im Klaren sein, was sie damit tun. Der Schaden, den sie damit der Zukunft des Unionismus zufügen, ist unübersehbar.“

Originalartikel in englischer Sprache auf info-nordirland.de: Forget the weapons and learn to trust Sinn Fein