Uschi Grandel (aus Dublin), 25. April 2016
Irland: Gedenken an den Beginn des Osteraufstands von 1916 mobilisiert für Protestbewegung gegen die herrschenden Verhältnisse
Der Friedhof des Arbor Hill Gefängnisses in Dublin ist normalerweise frei zugänglich. Es ist ein historischer Ort. Denn dort wurden vierzehn Männer begraben, die Großbritannien im Mai 1916 als Anführer des irischen Osteraufstands hinrichten ließ. Am Sonntag, den 24. April 2016, war er für die Öffentlichkeit gesperrt. An der offiziellen Zeremonie zum Gedenken an den Beginn des Osteraufstands an eben jenem 24. April des Jahres 1916 nahmen neben dem irischen Präsidenten Michael Higgins und dem amtierenden Taoiseach – dem irischen Ministerpräsidenten – Enda Kenny nur weitere führende Repräsentanten des irischen Staates und der katholischen Kirche nebst geladenen Gästen teil. Die Bevölkerung blieb draußen.
Der Osteraufstand wurde mit gewaltiger Militärmacht nach fünf Tagen niedergeschlagen, Großbritannien hatte Kanonenboote geschickt und viele Gebäude in der Dubliner Innenstadt in Schutt und Asche gelegt. In der Folge stärkte der Aufstand die Unabhängigkeitsbewegung und führte zur Gründung des Freistaates und späteren Republik Irland, allerdings ohne den nordöstlichen Zipfel der Insel, dessen Abspaltung als „Nordirland“ von Großbritannien 1920 erzwungen wurde. Die Unterdrückung und Entrechtung der irischen Hälfte der Bevölkerung Nordirlands und die immer brutalere Unterdrückung der Massenproteste für gleiches Wahlrecht, Arbeit und Wohnungen führte Ende der 60er Jahre zum langen und blutigen Nordirlandkonflikt. Seit 1998 ermöglicht ein Friedensvertrag eine politische und ergebnisoffene Aufarbeitung der Geschichte. Eine Wiedervereinigung Irlands ist einzig und allein an das Votum einer Mehrheit der nordirischen Bevölkerung in einem Referendum gekoppelt und damit auf friedlichem Wege möglich.
Die Menschen Irlands wurden in der Erklärung zum Osteraufstand, die der Lehrer, Schriftsteller, Poet und Rebell Padraig Pearse an jenem 24. April 1916 auf den Stufen des General Post Office (GPO), dem Hauptpostamt Dublins, verlesen hatte, als die wahren und einzig legitimen Herrscher Irlands bezeichnet. Von der gleichberechtigten Gesellschaft, wie sie die Rebellen forderten, ist das heutige Irland weit entfernt. Dieser Meinung sind zumindest die vielen Zehntausende, die am Sonntag aus allen Ecken Irlands – Süd und Nord – angereist waren, um den historischen Aufstand von 1916 zu feiern und einen aktuellen Aufstand in 2016 zu fordern. Fast zwei Stunden dauerte es, bis alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Demonstrationszugs den Treffpunkt Merrion Square verlassen konnten, um sich in die langen und bunten Reihen des Zuges einzureihen. Soziale Bewegungen, darunter auch die rumänische Community Dublins und irische Traveller, politische Parteien, Gewerkschaften, internationale Organisationen, und Kampagnen-Gruppen waren dem Aufruf der Initiative „Reclaim the Vision of 1916 (Die Vision von 1916 zurückerobern)“ in großer Zahl gefolgt.
Denselben Schwerpunkt hatte auch der Parteitag der irischen Linkspartei Sinn Féin, der unter dem Motto „Join the Rising – be part of building a new republic (Schließ Dich dem Aufstand an – sei Teil der Bewegung für eine neue Republik)“ vom 22.-23. April 2016 in Dublin stattfand. Die Bildung einer linken Einheitsfront gegen die neoliberale Austeritätspolitik der beiden dominierenden konservativen Parteien Fine Gael und Fianna Fail war eines der zentralen Themen des Parteitags. Ein zweites wichtiges Thema war die internationale Solidarität und der Schulterschluss für andere Verhältnisse in Europa. So sprachen auf dem Parteitag eine Reihe internationale Gäste, darunter Gabi Zimmer von der Linkspartei, Fraktionsvorsitzende der Vereinten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke, der auch die Sinn Féin Abgeordneten des europäischen Parlaments angehören. Arnaldo Otegi, Generalsekretär der baskischen Partei Sortu, der aus politischen Gründen sechseinhalb Jahre in einem spanischen Gefängnis inhaftiert war und erst vor kurzem seine Freiheit wiedererlangte, wurde von den Delegierten des Parteitags mit stehendem Applaus gefeiert. Er habe sich überlegt, ob er der Einladung der irischen Genossen folgen solle, witzelte er in seiner Rede. Schon zweimal hatte er den Sinn Féin Ard Fheis besucht, jedes Mal folgte ein Gefängnisaufenthalt in Spanien. Arnaldo Otegi war auch der Hauptredner der kurzen aber bewegenden Gedenkveranstaltung „100 Jahre irisch-baskische Freundschaft“, die am letzten Samstag am Rande des Sinn Féin Parteitags auf dem Friedhof des Arbor Hill Gefängnisses stattfand.
Foto: Zehntausende waren dem Aufruf „reclaim the vision of 1916“ gefolgt und demonstrierten am 100. Jahrestag des Osteraufstands von 1916 in historischen Kostümen für eine gleichberechtigte Gesellschaft.
Erstveröffentlichung: info-nordirland.de