„Ein neuer Anfang“

A fresh start - the Stormont agreement and implementation plan
„Ein neuer Anfang“ lautet die Überschrift des Abkommens zur Überwindung der politischen Krise in Nordirland

Uschi Grandel, info-nordirland.de, 28.11.2015

Eine Verschärfung der Regierungskrise in Nordirland wurde durch ein Abkommen beendet, aber noch sind viele kritische Themen nicht abgeschlossen

„Ein neuer Anfang – das Stormont-Abkommen und sein Im­ple­men­tie­rungsplan“ ist die Überschrift des 68-seitigen Abkommens, auf das sich die fünf im nordirischen Regionalparlament vertretenen Par­teien gemeinsam mit der britischen und der irischen Regierung am 17. November 2015 geeinigt haben. Der Name Stormont be­zeich­net das nordirische Parlamentsgebäude, das im östlichen Bel­fas­ter Außenbezirk „Stormont“ angesiedelt ist. Die fünf nord­iri­schen Parteien sind die Democratic Unionist Party (DUP, pro-bri­ti­sche Unionisten, 30%), Sinn Fein (SF, irische Republikaner, 26.9%), die Social Democratic Labour Party (SDLP, irische Kon­sti­tu­ti­o­na­lis­ten, 14.2%), die Ulster Unionist Party (UUP, pro-britische Uni­o­nis­ten, 13.2%), sowie die kleinere Allianz Party (AP, bürgerlich liberale Unionisten, 5.2%). Die Prozentzahlen be­zie­hen sich auf die Ergebnisse der letzten nordirischen Regionalwahlen im Jahr 2011.

Nach zehn Verhandlungswochen haben die Parteien mit dem Abkommen vorerst eine Krise beendet, die be­reits mehrere Jahre andauert und die dabei war, den nordirischen Friedensprozess ernsthaft in Gefahr zu brin­gen. Mehrere kritische Faktoren hatten sich überlagert.

Vollständige Umsetzung des Friedensabkommens von 1998

Zum einen geht es immer noch um die vollständige Umsetzung des Friedensabkommens von 1998, auch Kar­frei­tagsabkommen oder Good Friday Agreement genannt. Mit diesem zentralen Friedensabkommen wurde der bewaffnete Nordirlandkonflikt beigelegt und ein Fahrplan zur Demokratisierung Nordirlands entwickelt. Mit einem demokratischen Nordirland ist die Vorherrschaft der pro-britischen alten Eliten nicht länger ver­ein­bar und so ist im Abkommen festgelegt, Strukturen ihrer früheren Dominanz und deren Symbole zu entfernen. Maß­nahmen sind z.B. die Schaffung neutraler öffentlicher Räume ohne pro-britische Dominanz, die Gleich­be­rech­tigung der irischen Sprache oder die Gleichwertigkeit aller verschiedenen Identitäten und Nationalitäten, die in Nordirland leben. Bei den drei unionistischen, pro-britischen Parteien, der DUP, die mit Peter Robinson den First Minister stellt, der ehemals führenden UUP und der kleinen Traditional Unionist Voice (TUV) am rech­ten Rand ist jedoch die Haltung zu diesen Themen bestimmt durch den Machtkampf um die Oberhoheit im pro-britischen Lager.

So haben DUP und UUP Anfang 2014 die Zustimmung zu einem Kompromiss verweigert und damit die von Ri­chard Haas und Meghan O’Sullivan moderierten mehrmonatigen Verhandlungen Ende 2013 ohne Ergebnis be­endet. Ziel war damals ein gemeinsames Vorgehen aller großen Parteien im Umgang mit den schwierigen Streit­themen Paraden und Märsche, Fahnen und Symbole, sowie mit der Aufarbeitung der Vergangenheit.

Der Streit um Kürzungen im Sozialbereich

Diese schwierigen Themen der Aufarbeitung des Nordirlandkonflikts wurden von der aktuellen Aus­ein­an­der­set­zung um die Austeritätspolitik der britischen Regierung überlagert, deren Finanzminister George Osborne al­­len Teilen des United Kingdom ein Sparprogramm verordnet hatte, das tiefe Einschnitte im Sozialbereich vor­­sieht. Gegen dieses Programm „der Millionäre aus London“ wehrt sich vor allem die irisch-republikanische Par­tei Sinn Féin, die als zweitstärkste Partei mit Martin McGuinness den stellvertretenden First Minister stellt. Meh­­rere Jahre hat sich die linke Partei geweigert, ihre Zustimmung zur Umsetzung der Vorgaben aus London zu geben und hat stattdessen eine Kampagne „Stop Tory Cuts (Stoppt die Kürzungen durch die britische Tory-Re­­gierung)“ geführt. Zwar ist die Wählerbasis der DUP ebenfalls massiv von den Kürzungen im Sozialbereich be­­troffen, die DUP steht aber aus ideologischen Gründen fest an der Seite der britischen konservativen Re­gie­rung.

Das Abkommen sieht nun vor, dass die britische Re­gie­rung ihre Kürzungspolitik nicht durch das nordirische Re­gi­onalparlament umsetzen lässt, sondern hierfür selbst ver­antwortlich ist. Die britische Regierung musste je­doch ei­nem Budget von mehr als 500 Millionen £ zustimmen, mit dem die schlimmsten Härten vermieden wer­den sol­len. Als Verantwortliche für die Verteilung dieses Budgets wur­de auf Vorschlag von Sinn Féin die eme­ritierte nord­iri­sche Professorin Eileen Evason berufen, die als aus­ge­wie­sene Sozialexpertin gilt.

Britische Regierung verweigert Aufarbeitung der Vergangenheit

Die britische Regierung hatte in einem früheren Abkommen den Familien der Opfer des Konflikts Aufklärung zu­­gesagt. In diesen Verhandlungen erklärte sie jedoch, sie könne Aufarbeitung nur dann leisten, wenn keine na­­tionalen Sicherheitsinteressen betroffen seien. Diese Hintertüre war eine schwerer Schlag für die Familien, de­ren Angehörige durch Aktionen der Polizei, der britischen Armee, der Geheimdienste oder der Zu­sam­men­ar­beit dieser Kräfte mit pro-britischen Todesschwadronen ums Leben kamen. Seit Jahrzehnten käm­pfen Fa­mi­lien, wie die Angehörigen des Menschenrechtsanwalts Pat Finucane, die Angehörigen der Mas­sa­ker in Bally­mur­phy, Gurks Bar und andere um Aufklärung. Man geht davon aus, dass die politische Ver­ant­wor­tung für vie­le dieser Morde in die oberen Etagen der jeweiligen britischen Regierungen reicht.

Dass Aufklärung dieser zum Teil in die siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts zurückreichenden Fälle die ak­­tuelle Sicherheitslage Großbritanniens gefährde, klingt nicht besonders glaubwürdig. Aufklärung dieser Fälle wür­­de jedoch der eigenen Bevölkerung und der Weltöffentlichkeit zeigen, dass viele der Methoden, mit denen die britische Regierung in Nordirland Krieg geführt hat, terroristischer Natur waren. Staatsterrorismus in hun­der­­ten von Fällen, systematisch, mit Wissen und auf Anordnung der Regierung, das ist die Aufklärung, die die bri­­tische Regierung verhindern will.

Ohne vollständige Offenlegung aller Informationen bliebe die Aufarbeitung eine Farce. Sinn Féin hat deshalb nach Rücksprache mit den Familien dieses Ansinnen der britischen Regierung abgelehnt. Das Thema wird da­mit im vorliegenden Abkommen nicht behandelt, sondern zu einem späteren Zeitpunkt erneut verhandelt.

Paramilitärische Aktivitäten

Die Berichterstattung vor Beginn dieser aktuellen Verhandlungsrunde war geprägt von Krisenszenarien. Anlass wa­­ren zwei Morde in dem kleinen irischen Belfaster Stadtviertel Short Strand und die Behauptung britischer Ge­­heimdienstkreise, dies belege aktuelle Aktivitäten der IRA, die im Verlauf der Umsetzung des Frie­dens­ab­kom­mens 2005 ihre Waffen vernichtet hat und seither von der Bildfläche verschwunden ist. Tatsächlich findet sich im Abkommen ein sehr allgemein gehaltenes Kapitel zum Thema Paramilitarismus und seiner Be­käm­pfung. Dies zeigt, dass der Medienrummel um die IRA und die behauptete Einflußnahme auf Sinn Féin im Vor­­feld der Verhandlungen mehr dazu gedacht war, die Verhandlungsposition von Sinn Féin zu schwächen. Von den tatsächlich noch existenten und aktiven loyalistischen paramilitärischen Gruppen, die nach wie vor an­­ti-irische und auch fremdenfeindliche Anschläge verüben, war sowieso nie die Rede.